Geschichten
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Jetzt lebe ich schon etwa zehn Jahre mit ihr zusammen. In meiner Wohnung begegnen wir uns täglich – oder auch nächtlich. Manchmal ist sie kaum fassbar, manchmal ruht sie. Sie ist alleine – und: sie ist die einzige. Seit zehn Jahren….Aber: Sie ist eine Motte. Motten werden zehn bis zwölf Tage alt. Weder stechen sie, noch beißen sie oder übertragen Krankheiten. Es sind Schmetterlinge und ihre Symbolik ist die Veränderung. Aber wie kann diese e i n e mich zehn jahre lang begleiten, ohne zu sterben? Wenn ich sie betrachte, erscheint sie mir als Typus. Ich kann auf Grund ihrer Größe und des Abstandes zu ihr keine individuellen Merkmale feststellen. Sie scheint doch immer „dieselbe“ und die einzige zu sein; ich kann keinen Vergleich anstellen mit anderen ihrer Art. Ist das das Geheimnis ihres ewigen Daseins, dass sie entgegen ihrer Symbolik „unverändert“ immer vorhanden ist, oder….?
Sie trafen sich im Wald. Man nannte sie: Die Bäume. Sie kamen von überall her. Der eine BAUM, es war eine Eiche – es hätte auch eine Linde, Buche oder Tanne sein können – war stark, groß, voluminös, entsprach so am ehesten dem Begriff „Baum“. Aber da waren noch andere, die an dieser Konferenz im Wald teilnahmen. Aus Frankreich kam ein L´ARBRE (man muß sich diesen Namen beim Aussprechen auf der Zunge zergehen lassen), es war ein Esskastanienbaum. Man denke an geröstete Maroni, die im milden Spätherbst auf der Zunge zergehen wie der Name: L´Arbre. Da war dann auch noch von englischer Seite der TREE, in diesem Fall eine Eberesche, deren Blätter schon zu zittern beginnen, wenn nur ein Anflug von Wind eine Ahnung von Zukunft verheißt. Eben ein treee…Die Konferenz konnte nicht beginnen ohne ALBERO aus Italien, der gleich mit dem Satz „Vedere gli alberi e non la foresta“ auf der Bühne des Waldes auftrat. Er bevorzugte mit dem Spruch „Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ eher die italienische Auslegung. Unser Albero dachte: Die Bäume, ach was! Ihn, den Albero sollte man sehen – und nicht den Wald. Der Baum, die Eiche, die immer schon da war, brummte vor sich hin und meinte, dass doch der Wald, also das Ganze, gemeint sei. Aber bevor ein Streit darüber entstand, und da man nicht einen zahnlosen – oder besser gesagt: wurzellosen – Kompromiss haben wollte, einigte man sich darauf, dass doch der Wald aus lauter einzelnen Bäumen besteht und dass das Eine das Andere bedingt. Doch es lag Spannung in der Luft. TREE begann seine Blätter zu bewegen, Albero wuchs über sich hinaus, die Eiche war besorgt, nur die Esskastanie (L´ARBRE) dachte an diejenigen, die ihre Früchte auch im nächsten Jahr genießen werden. Und so war jeder der Bäume darauf bedacht, nicht einen Funken „überspringen“ zu lassen, da ja dies einen Waldbrand auslösen könnte, der wiederum jeden einzelnen Baum betroffen hätte.

Es war ein schöner Traum. Immer wieder tauchten diese Bilder zusammen mit angenehmen Gefühlen während des Schlafes auf, auch, wenn es nur ein Zustand war, in dem man glaubte, dass es die Wirklichkeit war. Dieser Traum handelte von einer kleinen Konditorei in einem kleinen, ebenerdigen Gebäude. Die Fassade war eher nüchtern, aufgeteilt in eine größere und in eine kleinere Seite. Der Eingang lag an der schmalen Seite. Mich in der Realität des Traumes wähnend, trat ich durch eine Türe, die in einen langgezogenen Raum führte, achtete auf die Stufe, blickte in das Lokal mit den kleinen Tischen und Stühlen und dem herrlichen Buffet mit all diesen Kuchen und Torten. Diese Stimmung, die durch den Lichteinfall und den Duft der Süßigkeiten entsteht, wird noch durch den Eintritt eines fröhlich lachenden Mädchens mit offenen, blonden Haaren, verstärkt. In einer kleinen Konditorei…ein Traum. Viele Jahrzehnte später besuchte ich ein Museum. In der Ausstellung fand ich ein Plakat, das auf die Eröffnung einer Konditorei hinwies – und zwar genau in jenem Ort, in dem ich vor Jahrzehnten wohnte. Es war die Konditorei aus meinem Traum! Es gab sie also tatsächlich. Es war Realität. Schade…es war ein so schöner Traum.

Santorin eine Vulkaninsel. Sie ist nicht nur durch die Masse der anwesenden Touristen „explosiv“. Aber es gibt dort einen kleinen Berg, der ist ausnahmsweise aus festem Gestein. Wenn man fit genug ist, kann man ihn über einen steilen Weg besteigen. Man sagte mir, daß diese Erhebung vor allem für Archäologen interessant wäre. Beweggründe in dieser Hinsicht waren mir fremd; ich wollte da nur hinauf. Vielleicht auch nur wegen der Aussicht – welche Aussicht auch immer. Am Fuße dieses steinernen Berges kam ich zufällig mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Wir boten uns gegenseitig Zigaretten an und plauderten. Der gute Mann erzählte mir, er sei Archäologe und war als Offizier der amerikanischen Armee in der Stadt Salzburg stationiert. Es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und Salzburg war amerikanische Besatzungszone. Er meinte, daß dies wohl die schönste Zeit in seinem Leben gewesen wäre. Mein nunmehr Bekannter bemerkte mir gegenüber mit Bedauern, herzkrank zu sein, keine Luft zu bekommen und dadurch diesen, für einen Archäologen interessanten Berg, wohl nie erklimmen zu können. Mit der Zeit und einigen Zigaretten kamen wir langsam in Bewegung und spazierten so dahin. Dieser Mann, dessen Name ich nicht kannte, begann mir über seine Zeit in Salzburg zu erzählen: Über die netten Menschen, die er traf, die fröhlichen Lokale, die Musik, die Schönheit der Stadt und die Freundschaften, die er in Salzburg schließen konnte. Wir gingen so dahin, ich hörte zu – und auf einmal standen wir auf der Spitze des Berges. Mein Begleiter merkte dies gar nicht und konnte es nicht glauben, als er oben angekommen war. Ich konnte gerade noch ein Foto von ihm machen. Ich habe das Bild noch heute: Ein gutaussehender, froher Mann um die Siebzig. Seine Freude steigerte sich noch, als er da oben einen Archäologie- Kollegen traf und sich angeregt und freudig mit ihm unterhielt. Ich ließ die beiden alleine und begab mich auf den Weg hinunter. Abends wollte ich meinen neu gewonnenen Freund in seinem Quartier besuchen. Es war alles finster und ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Mit Patience ist im Deutschen Geduld gemeint. Aber erst im Zusammenhang mit dem bekannten, gleichnamigen Kartenspiel entwickelt der Begriff Patience seine spezielle Bedeutung. Das Internet hat dieses alte Kartenspiel übernommen und bietet es als Solitair seinen Kunden an. Dabei gibt es verschiedene Versionen. Eine einfache Variante wäre das von Klondike angebotene, bei dem man die Software so manipuliert hat, daß der Spieler immer gewinnt. Es wird mit dem Ausdruck „gewonnen“ bestätigt, irgendwas richtig gemacht zu haben. Als teilnehmender Spieler habe ich das Interesse daran schnell verloren. Andere digitale Versionen lassen Dich nicht immer gewinnen. Vielleicht durch die entsprechende Software gesteuert, „gewinnt“ man dann doch regelmäßig alle fünf bis sechs mal, um vielleicht nicht das Interesse daran zu verlieren. Schließlich gibt es dazu immer wieder Werbeeinschaltungen. Auch hier habe ich das Interesse verloren. Also holte ich meine analogen Spielkarten hervor. Dadurch, dass ich die Karten selbst mischte, erreichte ich durch das unbewußte Tun meiner Hände eine (zufällige?) Reihenfolge verdeckter Karten. Mein Los. Erst jetzt konnte ich glauben, was mir das Spiel sagen wollte. Mein Interesse daran ist geblieben.

Eigentlich wollte ich in den Zoo gehen, um mir die Tiere anzusehen, die man ja sonst nicht überall zu sehen bekommt. Hunde, Katzen, Kühe und Pferde kannte ich ja schon. Ich mag sie , unsere Tiere, besonders Hunde und Katzen. Aber im Zoo, da soll es ja Tiger und Elefanten, Affen und Eisbären und viele andere, mir unbekannte Tiere, geben. Als ich so durch den Park ging und mich dem Eingang vom Zoo näherte – da begegnete ich einem Pferd. Also ich dachte, es wäre ein Pferd oder ein Esel; aber es hatte auf seinem Fell viele schwarze Streifen. Nun ja, nicht überall. Der hintere Teil des „Pferdes“ war ganz ohne Streifen. Aber überrascht und richtig erstaunt war ich, als sich das Wesen quer vor mich hinstellte, den Kopf abwandte und mit deutlichen Worten zu mir gesprochen hat: „Ich bin ein Zebra – oder auch ein Tigerpferd, wie man sagt.“ Ich wollte etwas entgegnen, aber meine Stimme versagte. Da hörte ich das Wesen sagen: „Ich, das Zebra, bin aus dem Zoo geflüchtet, weil man mich ausgelacht hat. Der Grund dafür war, dass heute Nacht sich die schönen schwarzen Streifen teilweise von meinem Fell gelöst hatten. Und nun hängen sie wie ein Flügel an meinem Körper. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte und was das soll!“ Nachdem ich mich gefasst hatte und dem Zebra antworten wollte, hat meine Stimme abermals versagt. „Ich seh´schon,“ sagte das Zebra, „Du kannst mir auch nicht helfen, ich werde wohl mit meinem Streifenflügel leben müssen wie mein Freund, das Pegasus. Nur, dass ich mit einem Flügel nicht fliegen kann, wie Du bereits bemerkt haben wirst.“ Als ich meine Gedanken wieder ordnen konnte, wollte ich etwas dazu sagen – doch dann war das Zebra plötzlich verschwunden. Danach ging ich nicht mehr in den Zoo. Ein paar Wochen später flanierte ich aber dann doch Richtung Tierpark, und als ich wiederum durch den Park spazierte, da…….
Anfragen: brigitte.buchacher@icloud.com b.buchacher@gmx.at
Lektor: paul-buchacher@gmx.at
Gesundheit und weiter viel ERFOLG
Lovis Corinth finde ich auch interessant,speziell weil expressionismus und impressionismus in „der Eindruck wird ausdrücklich“ zusammenfallen und das die Bilder sehr gut beschreibt. Auch getroffen und betroffen spielen sprachlich mit dem Bild von Äußerlichkeit und Innerlichkeit, Konflikt zwischen Impressionismus und Expressionismus. Zwischen Körper und Seele.
Das mit Gegenwart und Gegenwarten verstehe ich noch nicht….das muss ich dich fragen .. würde mich interessieren???
…. Ich tauche ein in die Erzählungen, lass mich mitnehmen und entführen….sind voll Poesie und Geheimnisse … .gibts Fortsetzungen? Das fragt B.
…. Idee an Sie: machen Sie ein Buch daraus….amüsant, spritzig, lebendig und voll Geist, …. 👍 Grit Buchner
…. Mehr vom Zebra…. Einfach erfrischend und witzig, wie wärs mit einem Buch?? Werde sie weiter erzählen und weiter denken 🧐, ….
Sehr nette Geschichten lieber Lothar. Du solltest unbedingt ein Buch mit Text und Bildern rausbringen….ich bin die erste, die eines kauft.
Eine wunderbare Geschichten-Welt, lieber Lo, poetisch, spannend, vielseitig. Gratuliere!
…. Eine Reise und verzaubert in Phantasiewelt eingetaucht, …. schön!
Beste Grüße, Georg Steiner
…verlegen und illustrieren Sie doch diese Geschichten, einfach ein Genuss ….!….so viel Mystik, Phantasie und Humor….
Mit herzlichen Grüßen, Mira